Die Fertigung von dreidimensionalen Bauteilen durch Tiefziehen erfolgt aus ebenen Platinen, die wiederum Abschnitte aus kontinuierlichen Blechbändern sind. Beim etablierten Herstellungsprozess über den Strangguss und das Warm- und Kaltwalzen werden die Materialeigenschaften im Band durch mikrostrukturelle Effekte (z. B. Anisotropie, Eigenspannungen, Kaltverfestigung, Poren, Gitterfehler etc.) verändert. Diese Veränderungen, insbesondere Poren und Gitterfehler, können die Bauteileigenschaften im darauffolgenden Umformprozess (in diesem Fall Tiefziehen) zusätzlich beeinflussen, insbesondere in Form von Schädigung. In Abhängigkeit der Prozessroute können im Herstellprozess unterschiedliche Lastpfade aufgebracht werden, die zu einer unterschiedlichen Schädigungsentwicklung führen. Die vom Lastpfad jedes Materialpunktes abhängige Schädigung kann heute mit unterschiedlichen Kriterien und Modellen zwar abgebildet werden, deren Ergebnisse sind bislang jedoch noch unsicher sowohl in Bezug auf den Ort der maximalen Schädigung als auch in Bezug auf den Betrag der Schädigung. Des Weiteren sind die Wechselwirkungen zwischen der durch die Umformhistorie eingebrachten (Vor-)Schädigung und der beim nachgelagerten Tiefziehprozess induzierten Schädigungsentwicklung unbekannt.
Die übergeordnete Zielsetzung dieses Teilprojekts ist demnach die quantitative Beschreibung und Vorhersage der Wechselwirkungen zwischen der durch die Umformhistorie induzierten (Vor-)Schädigung und den Prozessparametern beim Tiefziehen sowie die Kontrolle einer weiteren Schädigungsentwicklung durch eine maßgeschneiderte Prozessroute. Dem Forschungsprojekt liegt die Arbeitshypothese zugrunde, dass durch eine mehrstufige Prozessroute bei gleicher Platinenanfangs- und Bauteilendgeometrie wie beim einstufigen Prozess verschiedene Lastpfade im Werkstoff induziert werden können, die einen schädigungskontrollierten Blechumformprozess ermöglichen. Die Vorgehensweise basiert auf drei Arbeitsschritten:
In einem ersten Schritt wird hierfür der Einfluss der konventionellen Prozessparameter beim Tiefziehen auf den Lastpfad analysiert. Es werden charakteristische Materialorte im unteren Zargenbereich, im mittleren Zargenbereich, im Flanschbereich und in den Übergangsbereichen zwischen Flansch und Zarge sowie zwischen Zarge und Boden untersucht. Diese Orte sind Indizien für Bereiche mit kritischen Lastpfaden, deren Wechselwirkungen mit einer (Vor)-Schädigung verstanden werden müssen. Diesbezüglich wird im zweiten Schritt untersucht, wie durch eine mehrstufige Prozessroute (durch Reversierung, im Weiterzug und durch Stülpziehen) sowie beim Tiefziehen mit Gegendruck durch veränderte Spannungszustände die Lastpfade an diesen charakteristischen Materialorten beeinflusst werden. Im dritten Schritt wird der Einfluss unterschiedlicher Umformhistorien auf den Lastpfad untersucht. Die experimentellen Untersuchungen werden durch numerische Analysen unterstützt, um die dazugehörigen Lastpfade genauer bestimmen und bewerten zu können. Methoden des Forschungsvorhabens sind Experimente und numerische Untersuchungen auf Basis der Finite-Elemente-Methode (FEM). In den Experimenten werden Grund- und Modellversuche mit Nakajima-Proben und rotationssymmetrischen Näpfen des hochfesten Stahls DP800 durchgeführt. Ergänzend werden metallografische Untersuchungen an charakteristischen Materialorten mittels Rasterelektronenmikroskopie (REM), Lichtmikroskopie (LM), Mikro-Computertomografie (mCT), Röntgenbeugung (RB) und Mikrohärteprüfung (mHV) durchgeführt. Die numerische Untersuchung der Grund- und Modellversuche mithilfe der FEM erlaubt zusätzlich die quantitative Beschreibung des Einflusses der Prozessparameter auf den Spannungs-Dehnungs-Zustand, der Dehnrate und der Temperatur auf die definierten Materialorte sowie die Evaluation bekannter Schädigungsmodelle.
Das Ziel / Ergebnis des Vorhabens ist ein deskriptiv-numerisches Beschreibungsmodell, das die Wechselwirkungen zwischen (Vor-)Schädigung und Prozessparametern beim Tiefziehen beschreibt und zudem durch eine mehrstufige maßgeschneiderte Prozessroute eine weitere Schädigungsentwicklung minimiert. Eine Vernetzung besteht insbesondere mit Teilprojekt A04 infolge der beim Walzen induzierten Materialeigenschaften und deren Wechselwirkungen mit den Tiefziehparametern sowie mit Teilprojekt A05 bzgl. der Durchführung von Referenzversuchen und des Abgleichs des Einflusses des Biegens auf den Lastpfad. Eine weitere Vernetzung besteht zur mikrostrukturellen Charakterisierung von Proben mit den Teilprojekten B02 und B03 sowie zur Modellierung der Schädigung mit den Teilprojekten C02, C04 und C05.
Mithilfe des Beschreibungsmodells der ersten Förderperiode werden die Erkenntnisse in der zweiten Förderperiode auf komplexere, asymmetrische Ziehgeometrien und Prozesse (z. B. Tief-Streckziehen oder Hochdruckblechumformung) übertragen und erforscht. Das Ergebnis ist eine definierte Umformung mit maßgeschneiderten Lastpfaden, die zu Bauteilen mit identischem Umformgrad, jedoch reduzierter Schädigung führen.
In der dritten Förderperiode wird gezielt der thermische Einfluss (z. B. lokale externe Lasereinstrahlung) zur Ausheilung von Materialinhomogenitäten und das Einsatzverhalten des Ziehteils berücksichtigt. Hierdurch wird ermöglicht, dass nicht nur ein schädigungsminimiertes Bauteil erfolgreich hergestellt wird, sondern dieses auch den Betriebsanforderungen genügt und die zugrunde liegenden Wirkmechanismen technisch nutzbar macht.
Wichtige Ergebnisse der 1. Förderperiode
Die übergeordnete Zielsetzung von TP A06 ist die quantitative Beschreibung und Vorhersage der Wechselwirkungen zwischen den Parametern des Umformprozesses und der Schädi-gungsentwicklung während der Umformung sowie die Kontrolle der Schädigungsentwick-lung durch eine maßgeschneiderte Prozessroute zur gezielten Erhöhung der Leistungsfähig-keit der umgeformten Komponente. Dem Forschungsprojekt liegt die Arbeitshypothese zu-grunde, dass durch eine Veränderung der Prozessparameter sowie durch mehrstufige Prozess-routen bei gleichbleibender Platinenanfangs- und Komponentenendgeometrie verschiedene Lastpfade im Werkstoff induziert werden können, die die Schädigungsentwicklung beein-flussen. Die gezielte Veränderung dieser Parameter ermöglicht damit einen schädigungskon-trollierten Blechumformprozess. In der ersten Förderperiode wurden folgende Erkenntnisse gewonnen:
Zur Untersuchung grundlegender Wechselwirkungen zwischen den sich beim Tiefziehen entwickelnden Spannungszuständen und der Schädigungsentstehung wurden Nakajima-Versuche durchgeführt. Es wurden Nakajima-Proben mit einem Außendurchmesser von d0=200 mm, einer Steglänge von lS = 40 mm und einem Stegradius von rS=30 mm verwendet. Die untersuchten Proben hatten Stegbreiten von bS=11;47;71;107 mm. Mit jeder Stegbreite wurden Versuche durchgeführt, die jeweils bei Stempelhüben von s=7,5;12,5;17,5 mm gestoppt wurden. Die bei der Umformung entstandene Schädigung wurde im Anschluss mithilfe der in TP B02 entwickelten Methodik mithilfe eines Rasterelektronenmikroskops (REM) quantifiziert. Neben der experimentellen Durchführung wurde die Durchführung simulativ unterstützt. Um die Schädigung innerhalb der Komponenten quantifizieren zu können, wurden die Triaxialität und der Lode Parameter herangezogen. Die Ergebnisse zeigten, dass kleinere Stegbreiten zu einer geringeren Triaxialität führen. Die Schädigung sowie der Vergleichsumformgrad verhalten sich analog. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine Spannungsüberlagerung die Schädigungsentwicklung beeinflusst und so die entstehende Schädigung in den kritischen Bereichen verringert werden kann.
Diese Ergebnisse wurden weitergeführt durch die Untersuchung des Tiefziehens von rotationssymmetrischen Näpfen. Um den Einfluss unterschiedlicher Spannungszustände sowie unterschiedlicher Lastpfade auf die Schädigung zu untersuchen, wurde neben dem einfachen Tiefziehen das intermittierende Tiefziehen, Tiefziehen im Weiterzug, Stülpziehen sowie das Tiefziehen mit Gegendruck untersucht. Neben den Prozessvarianten wurden der Ziehringradius (rZ=3;9 mm) sowie die Niederhalterkraft (FNH=34;68;102;136 kN) , die Stempelgeschwindigkeit (vS=5;50 mm/s) und die kinematische Viskosität des eingesetzten Schmierstoffes (ν=73;249 mm^2/s) vollfaktoriell variiert. Die experimentellen Untersuchungen ergaben dabei, dass weder die Niederhalterkraft noch die Stempelgeschwindigkeit einen signifikanten Einfluss auf die Lastpfade in Zarge und Boden haben. Im Prozess wird die Niederhalterkraft dazu verwendet, die Bildung von Falten durch tangentiale Druckspannungen im Flanschbereich zu unterbinden. Die FE-Modelle zeigen jedoch auch keinen signifikanten Einfluss auf die Lastpfade. Für die Prozessmodifikationen wurden aus diesem Grund Ziehringradius (rZ=3 mm), Niederhalterkraft (FNH=68 kN), Stempelgeschwindigkeit (vS=5 mm/s) und Viskosität des Schmierstoffs (ν=73 mm^2/s) konstant gehalten.

Schädigungsentwicklung beim einstufigen Tiefziehen: Starker Einfluss der Werkzeug-geometrie, vernachlässigbarer Einfluss der Niederhalterkraft
Es wurde kein signifikanter Einfluss des intermittierenden Tiefziehens auf die Schädigungs-entwicklung ermittelt. Die Auswertung der Mikrostruktur im REM zeigte keine Veränderung der Porenfläche im Vergleich zum einfachen Tiefziehen. Bei den weiteren Variationen der Lastpfade hingegen wurde eine Veränderung der Schädigung beobachtet.
Mithilfe der validierte FE-Prozesssimulation wurde für die Lastpfadvariationen des Weiterzugs und des Stülpziehens vorausgesagt, dass sich der sowie der Betrag der maximalen Schädigung verändern. Es zeigt sich, dass das Schädigungsmaximum stets innerhalb der Napfwand vorzufinden ist. Beim einfachen Tiefziehen befindet sich der Ort der maximalen Schädigung in einer Höhe von hDmax =18 mm, wohingegen dieser sich beim Weiterzug auf einer Höhe von hDmax =8 mm befindet und beim Stülpziehen auf einer Höhe von hDmax =10 mm. Der maximale Betrag an Schädigung wird beim Weiterzug erzeugt Dmax=0,56. Beim Stülpziehen liegt der Wert bei Dmax=0,31 und beim einfachen Tiefziehen bei Dmax=0,30. Die durch die FE-Prozesssimulation vorhergesagte Schädigungsverteilung wurde mithilfe der Messung der Porenflächenanteile in den tiefgezogenen Näpfen qualitativ bestätigt. Die Verschiebung des Schädigungsmaximums zeigt die Möglichkeit auf, die Schädigung in Bereiche zu verschieben, welche im Betrieb weniger Belastung erfahren.

Verschiebung des Schädigungsmaximums innerhalb der Napfwand durch mehrstufiges Tiefziehen, insbesondere durch Stülpziehen
Die Ursache für die Verschiebung der Schädigung sowie des Schädigungsmaximums ist die Verlagerung der Spannungen im Prozess. Die sekundäre Umformzone befindet sich beim Tiefziehen am Ziehringradius. Dort wird der Werkstoff vom Flansch in die Zarge gebogen. Somit werden Spannungen aufgebracht und es entsteht ein Wechsel von Zug-Druck-Spannungen hin zu Zugspannungen über den Tiefziehprozess hinweg, wodurch die vorliegende Schädigungsverteilung erzeugt wird. Beim Weiterzug erfolgt dieser Prozess analog, jedoch an manchen Stellen des Napfes mehrfach, wodurch die Schädigung in der Komponente steigt. Dies belegt, dass eine mehrfache Laständerung von Zug- und Druckspannungen eine höhere Schädigung hervorruft. Beim Stülpziehen hingegen sind die bei der Umformung aufgebrachten Spannungen geringer, wodurch grundlegend eine geringere Schädigung entsteht. Aus diesem Grund ist die Spannung geringer als beim Weiterzug und nur geringfügig höher wie beim einfachen Tiefziehen. Jedoch verteilt sich die Schädigung von größer als D=0,10 auf einen kleineren Bereich als beim einfachen Tiefziehen.
Projektleitung
Dr.-Ing. Patrick Mattfeld
Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen
Prof. Dr.-Ing. Thomas Bergs
Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen
Projektbearbeitung
Matthias Nick M. Sc.
Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen